Kapitel 10: Wirtschaftlichkeitsprüfung und sachlich- rechnerische Überprüfung


Als Vertragsarzt rechnet der Zahnarzt seine Leistungen mit der KZV zu Lasten der GKV ab. Sein Vertragspartner, der gesetzlich versicherte Patient, muss für Sachleistungen grundsätzlich nur die Krankenversichertenkarte vorlegen. Der Patient kennt den Preis der Leistung des Zahnarztes nicht, soweit mit der KZV abgerechnet wird. Die Abrechnung im Bereich der GKV unterscheidet sich von der Privatabrechnung. In der Privatliquidation werden die einzelnen Behandlungsleistungen nach der GOZ detailliert abgerechnet. Der Privatpatient muss mit seiner PKV selbst klären, welche Leistungen ihm erstattet werden. Unabhängig von der Erstattung seiner Krankenversicherung schuldet der Patient dem Zahnarzt den nach GOZ zutreffend abgerechneten Gesamtbetrag. Der Privatpatient kennt die Behandlungskosten im Detail und unterzieht sie einer kritischen Überprüfung. Im Zweifel wird seine Krankenversicherung ihn auf Fehler bei der GOZ-Rechnung hinweisen. Diese Kontrolle des Zahnarztes fehlt in der vertragsärztlichen Versorgung wegen des Sachleistungsprinzips. Volkswirtschaftlich betrachtet gibt die GKV jährlich rund 250 Milliarden € aus. Rund 10 % davon entfallen auf zahnärztliche Leistungen. Zur Kontrolle dieser hohen Ausgaben führen die GKV bzw. die KZV Wirtschaftlichkeitsprüfungen sowie sachlich-rechnerische Überprüfungen durch. Bei der sachlich-rechnerischen Überprüfung wird überprüft, ob Leistungen des Zahnarztes nach Recht und Gesetz richtig abgerechnet wurden. Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung prüft die KZV zusätzlich, ob die korrekt abrechneten Leistungen den wirtschaftlichen Vorgaben der gesetzlichen Versicherung entsprechen. Wirtschaftlichkeitsprüfung

10.1  Wirtschaftlichkeitsprüfung

10.1.1  Wirtschaftlichkeitsgebot, § 12 SGB V

Vertragsärztliche Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die KK nicht bewilligen.anmelden und weiterlesen

Nimmt man das SGB wörtlich, können im Bereich der GKV lediglich ausreichende Leistungen (Schulnote 4) erbracht werden. Dieser Maßstab unterscheidet sich erheblich von dem Maßstab einer Privatbehandlung nach der GOZ. Dort ist eine Behandlungsmaßnahme bereits medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und anerkannten ärztlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Es kommt in der GOZ ausschließlich auf die objektiven medizinischen Befunde und anerkannten ärztlichen Erkenntnisse an. Damit ist nicht lediglich eine wirtschaftliche und ausreichende Behandlung, sondern auch eine teurere, besonders gute Behandlung umfasst. Insofern sind Privatpatienten und gesetzlich Versicherte schon von Gesetzes wegen nicht gleichgestellt.

Doch Vorsicht: Gehört eine bestimmte zahnärztliche Behandlung zum fachlichen Standard, darf der Zahnarzt die Leistung nicht unterlassen, nur weil die GKV die Kosten nicht übernimmt. Die Leistung muss nach entsprechender Vereinbarung über die anfallenden Kosten privat nach Maßgabe der GOZ abgerechnet werden. In dem durch Urteil des OLG München vom 18.01.2017, 3 U 5039/13 entschiedenen Fall gehörte ein privat zu zahlendes CMD-Screening zum Facharztstandard vor Eingliederung des Zahnersatzes. Da der Zahnarzt das Screening unterlassen hatte, war nach Ansicht des Gerichts ein Befunderhebungsfehler gegeben.

Praxistipp: Setzen Sie sich mit den Vorgaben einer wirtschaftlichen und ausreichenden zahnärztlichen Behandlung auseinander. Rechnen Sie keine darüber hinausgehenden Leistungen auf Kosten der GKV ab. Sofern solche Leistungen nach Ihrer Ansicht für eine lege artis-Behandlung erforderlich sind, müssen Sie mit dem Patienten eine privatärztliche Vergütung vereinbaren.

10.1.2  Voraussetzungen und Methoden einer Wirtschaftlichkeitsprüfung

Die Wirtschaftlichkeit erbrachter zahnärztlicher Leistungen kann auf begründeten Antrag einer einzelnen KK, mehrerer KK oder der KZV überprüft werden. Zuständig ist eine spezielle Prüfungsstelle, die aus Vertretern der KK und der KZV besteht.

Früher wurden in jedem Quartal die Ausgaben von zwei Prozent der Zahnärzte überprüft. Mit Inkrafttreten des TSVG vom 11.05.2019 entfiel die Zufälligkeitsprüfung. Auch wenn Voraussetzung nun immer ein begründeter Antrag ist, hat sich die Anzahl der Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach unseren Erfahrungen nicht reduziert. Statistische Verfahren und der Einsatz moderner IT erleichtern es, Auffälligkeiten und damit eine hinreichende Begründung für den Antrag auf Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu finden.

Die Wirtschaftlichkeitsprüfung kann mittels Einzelfallprüfung oder mittels allgemeiner statistischer Vergleichsprüfung erfolgen. Bei der Einzelfallprüfung wird die einzelne Behandlungsmaßnahme in einem bestimmten Behandlungsfall unter Hinzuziehung der Patientenunterlagen konkret auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft. Hier hat der Zahnarzt häufig gute Verteidigungsmöglichkeiten, wenn er plausibel erklären kann, warum er im konkreten Behandlungsfall bestimmte Leistungen durchgeführt hat.

Bei der statistischen Vergleichsprüfung werden die Kosten pro Behandlungsfall des zu prüfenden Zahnarztes mit den Durchschnittskosten einer Vergleichsgruppe von Zahnärzten abgeglichen. Die Verteidigung des Zahnarztes bei Abweichungen ist hier schwieriger. Werden statistische Mehrkosten festgestellt, obliegt es dem Zahnarzt, im Einzelnen Unterschiede und Besonderheiten seiner Praxis und seiner Patienten substantiiert darzulegen, z. B. weil er eine besondere Praxisausstattung besitzt oder weil er ein besonders umfangreiches Leistungsportfolio anbietet, sodass weniger Patienten an Fachzahnärzte überwiesen werden als in der Vergleichsgruppe. Nicht ausreichend ist die pauschale Behauptung des Zahnarztes, besonders qualifiziert und gründlich zu arbeiten.

Da bei Vorliegen statistischer Auffälligkeiten eine Beweislastumkehr eintritt, sind Verfahren für Zahnärzte mit einem erheblichen Prozessrisiko verbunden. Nachfolgend einige Beispiele aus der Rechtsprechung:

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.12.2014, L 11 KA 89/12:
Es ist nicht ausreichend, dass der Zahnarzt überdurchschnittlich viele Patienten mit einem Alter von über 60 Jahren behandelt. Vielmehr hätte er nach Ansicht des Gerichts zumindest strukturell darlegen müssen, bei welchen der von ihm behandelten Patienten aufgrund welcher Erkrankung welcher Mehraufwand erforderlich war.

SG München, Urteil vom 25.10.2017, S 38 KA 5022/17:
Ein hoher Anteil von Patienten aus den GUS-Staaten und von Aussiedlern ist keine Praxisbesonderheit. Nach Ansicht des Gerichts sei bei Ausländern/Aussiedlern nicht generell ein erhöhter zahnmedizinischer Behandlungsbedarf gegeben.

SG München, Urteil vom 29.01.2019, S 38 KA 5170/16:
Eine Praxis im ländlichen Raum begründet keine Praxisbesonderheit. Dass der Zahnarzt häufiger Angstpatienten behandelt, ist ebenfalls unerheblich, weil bei Angstpatienten kein überdurchschnittlicher Behandlungsaufwand besteht. Schließlich sind erhebliche Überschreitungen bei den Füllungsleistungen nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Zahnarzt weniger Zahnersatzleistungen und Extraktionen bei seinen Patienten durchführt.

BSG, Urteil vom 08.05.1996, 6 RKa 45/95:
Die Kürzungen des Prüfungsausschusses für Leistungen nach BEMA Nr. 56c bei einem Vertragsarzt, der sowohl als Zahnarzt als auch als Mund-Kiefer-Gesichtschirurg tätig ist, sind rechtswidrig. Die Zystektomie nach Nr. 56c BEMA ist für einen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen typisch. Bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung darf er nicht mit dem Durchschnitt der Allgemeinzahnärzte verglichen werden, da dort diese Leistung nur selten erbracht wird.

10.1.3  Verfahren bei Honorarrückforderungen und Ausschlussfristen

Bisher konnte eine Wirtschaftlichkeitsprüfung bis zu vier Jahre nach Ende der jeweiligen Quartalsabrechnung durchgeführt werden. Diese Ausschlussfrist wurde durch das TSVG auf zwei Jahre verkürzt.

Aufgrund der Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsprüfung erlässt der Prüfungsausschuss einen Rückforderungsbescheid. Gegen diese Honorarkürzungen kann der Zahnarzt Widerspruch beim Beschwerdeausschuss einlegen. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, muss bei den Sozialgerichten gegen die Rückforderung geklagt werden.

Praxistipp: Setzen Sie sich bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausführlich mit den Beanstandungen auseinander und arbeiten Sie substanzielle Unterschiede zu einer Vergleichsgruppe heraus. Neben der finanziellen Belastung droht bei anhaltenden und schwerwiegenden Verstößen sogar der Entzug der Vertragsarztzulassung.

Auch wenn der Zahnarzt sich gegen Rückforderungen zur Wehr setzen kann, sollte der Zahnarzt seine Abrechnung auf typische Problemfälle überprüfen. Rückforderungen des Prüfungsausschusses betreffen oft längere Zeiträume und können für Zahnärzte existenzbedrohend sein.

10.2  Sachlich-rechnerische Überprüfung

10.2.1  Voraussetzungen der Honorarberichtigung bzw. -kürzung

Bei der sachlich-rechnerischen Überprüfung werden Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen überprüft. Dabei überprüft zunächst die KZV die Rechtmäßigkeit der Abrechnung des Vertragszahnarztes. Anschließend prüft die KK die Plausibilität.
Wenn die Rechtmäßigkeit bzw. Plausibilität einer Abrechnung beanstandet wird, klärt die KZV den Sachverhalt mit dem Zahnarzt und veranlasst ggf. die Honorarberichtigung bzw. -kürzung. Diese Honorarberichtigung kann ihrerseits eine Wirtschaftlichkeitsprüfung auslösen.anmelden und weiterlesen

Inhaltlich ergeben sich Beanstandungen häufig bei:

  • Exzisionen von Schleimhäuten,
  • Nachbehandlungen nach chirurgischen Eingriffen sowie bei
  • Behandlungen von Paradontopathien (PAR-Behandlungen).

Häufig bemängelt die KZV Fehler bei der Dokumentation, die allerdings oft rechtsfehlerhaft sind und gegen die der Zahnarzt vorgehen sollte. Die Rechtsprechung fordert für sachlich-rechnerische Honorarkürzungen wegen Verstoßes gegen die Dokumentationspflichten, dass die jeweilige Leistungsbeschreibung des BEMA die Art und Weise der Dokumentation ausdrücklich fordert. Dies ist selten der Fall.

10.2.2  Verfahren bei Honorarberichtigung bzw. -kürzung und Ausschlussfristen

Für die sachlich-rechnerische Richtigstellung gilt ebenso wie für die Wirtschaftlichkeitsprüfung mittlerweile eine zweijährige Ausschlussfrist. Zuständig für die sachlich-rechnerische Überprüfung ist – anders als bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung, bei welcher die Prüfstelle zuständig ist – ausschließlich die KZV selbst. Gegen den Bescheid über die Honorarberichtigung bzw. -kürzung kann der Zahnarzt Widerspruch einlegen. Eine spezielle Widerspruchsstelle der KZV entscheidet über das Widerspruchsverfahren. Wird dem Bescheid durch die Widerspruchsstelle nicht abgeholfen, kann der Zahnarzt beim zuständigen Sozialgericht Klage erheben.

Erhebt die KZV den Vorwurf eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Abrechnungsfehlers, darf die KZV ausgehend vom Einzelfall das Gesamthonorar schätzen. Oft führt dies zu sehr hohen Honorarkürzungen.

Praxistipp: Bei Verfahren wegen sachlich-rechnerischer Kürzung sollten Sie sich intensiv mit dem bemängelten Behandlungssachverhalt auseinandersetzen. Damit können Sie vermeiden, dass die KZV Ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit unterstellt. Dieser Vorwurf kann eine Schätzung der KZV bezogen auf das Gesamthonorar und damit hohe Rückforderungssummen oder sogar ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs nach sich ziehen. Solche Ermittlungsverfahren können sich über Jahre hinziehen.